13. Dezember

Der Träumer

von Martin Auer

Es war einmal ein Mann, der war ein Träumer. Er dachte sich zum Beispiel: Es muss doch möglich sein, zehntausend Kilometer weit zu sehen. Oder er dachte sich: Es muss doch möglich sein, Suppe mit der Gabel zu essen. Er dachte: Es muss doch möglich sein, auf dem eigenen Kopf zu stehen, und er dachte sich: Es muss doch möglich sein, ohne Angst zu leben.

Die Leute sagten zu ihm: „Das alles geht doch nicht, du bist ein Träumer!“ Und sie sagten: „Du musst die Augen aufmachen und die Wirklichkeit akzeptieren!“ Und sie sagten: „Es gibt eben Naturgesetze, die lassen sich nicht ändern!“

Aber der Mann sagte: „Ich weiß nicht… Es muss doch möglich sein, unter Wasser zu atmen. Und es muss doch möglich sein, allen zu essen zu geben. Es muss doch möglich sein, dass alle das lernen, was sie wissen wollen. Es muss doch möglich sein, in seinen eigenen Magen zu gucken.“

Und die Leute sagten: „Reiß dich zusammen, Mensch, das wird es nie geben. Du kannst nicht einfach sagen: Ich will und deswegen muss es geschehen. Die Welt ist, wie sie ist, und damit basta!“

Als das Fernsehen erfunden wurde und die Röntgenstrahlen, da konnte der Mann zehntausend Kilometer weit sehen und auch in seinen eigenen Magen. Aber niemand sagte zu ihm: „Na gut, du hast ja doch nicht ganz Unrecht gehabt.“ Auch nicht, als das Gerätetauchen erfunden wurde, so dass man problemlos unter Wasser atmen konnte.

Aber der Mann dachte sich: Na also.
Vielleicht wird es sogar einmal möglich sein, ohne Kriege auszukommen.

 

Aus: Martin Auer: Der Seltsame Krieg – Geschichten für die Friedenserziehung, https://www.peaceculture.net/